Erster Bericht des Dirk

1. Diskette

 

 

Brief des Dirk

 

Ein Stern fällt vom Himmel

 

Bericht von Dirk

Verfaßt von Dirk, am Freitag, den 09.05.1997, sofort am Tage nach dem Ereignis.

Geschehen am Donnerstag, 08.05.1997, etwa 02:00 Uhr (bis 05:00 Uhr) morgens.

 

Ein Stern fällt vom Himmel

Ich konnte nicht schlafen und stand am Fenster und blickte hinaus in die Nacht, in der bereits der Morgen heraufdämmerte.

Und da geschah es, draußen, am Himmel, Richtung Nord-Osten, etwas fiel herab.

Ich wandte mich um und rief den Namen meiner Frau, staunend wie ein Kind: "Sieh mal, da fällt ein Stern vom Himmel oder so etwas!"

Doch meine Frau schlief tief und fest, sie konnte nicht zu mir kommen und mit mir das Wunder schauen. Wieso schlief sie denn so tief? Ich konnte sie nicht wecken, obwohl ich doch laut gerufen hatte!

Was sah ich denn? Was geschah?

 

Ein Lichtkegel schießt auf mich zu

Ich stand am Fenster, und dann schoß ein Lichtkegel auf mich zu.

Es näherte sich aus Nord-Osten, es war rund und flach, irgendwie am Ende abgeschnitten, keine Kugel, soviel kann ich sagen. Wenn man ein Messer nimmt und die Kuppe einer Wurst abtrennt, erhält man eine flache Scheibe, wenn man sie von vorn betrachtet. Dahinter aber liegt noch mehr, da liegt die Tiefe, das Volumen, und so war es auch bei diesem Licht, das da vom Himmel fiel, fast wie ein Stern. Das Licht war zwar hell, aber weich und sanft und wunderbar, und man kann es fast nicht beschreiben.

Merkwürdig und erschreckend aber war: obwohl ich das Licht als sanft und lieblich empfand, erfaßte es mich mit brutaler Gewalt und hob mich empor, so daß meine Füße über dem Boden schwebten, und dann riß es mich fort.

Ich weiß eigentlich nur: das Licht hüllte mich ein, verschluckte mich, und alles geschah im Nu. Es durch­ström­te mich von den Fußnägeln bis in die Haarspitzen, und fast kann ich nicht sagen, wo es begann und endete.

 

Was geschieht denn da mit mir?

Die Atome und Moleküle - kurz: die Materie, aus der ich gemacht bin, löste sich auf und blieb doch zugleich konstant und in sich geschlossen, das heißt, in der Form "Mensch", also dem Kleid, das diese Form darstellt, aber sie geriet in Bewegung, hochfrequent und angenehm, aber auch irgendwie schmerzhaft.

Ich wurde emporgehoben mit und von einer gewaltigen Macht, eingewoben in einen elektrischen Lichtkokon, die Schwerkraft existierte nicht mehr.

Das Licht verdunkelte sich aber, dann war es nicht mehr da, und es schien mir, als wäre ich in einer Klarsichtfolie verpackt, die schöner und klarer als alles war, was ich bisher gekannt hatte. Und durch sie konnte ich sehen, messerscharf, eine so klare Sicht hat man aus keinem Fenster.

Es war, als wäre irgendwo, am Ende des Lichts, in dem ich mich befand, ein gigantischer Staubsauer, ja, ich glaube, es kann sein, daß ich mich festzuhalten versuchte, am Fenstergriff oder Fensterrahmen, doch gelang mir dies nicht, ich griff durch alles hindurch wie durch einen Geisternebel.

Ich wurde aus allem gelöst, das mich mit der Erde verband.

 

Ich blicke zurück... und werde fortgerissen

Ich blickte zurück, auf meine Frau herab, sie war unter mir, noch immer in tiefem Schlaf, und da zweifelte ich nicht mehr, daß ich in der Schwebe war: ich schwebte im Schlafzimmer, und meine Frau konnte mich nicht helfen.

Und schon wurde ich hinfort gerissen, ich raste durch das Fenster und das Mauerwerk des Hauses, vor dem ich gestanden hatte, als wäre das alles, die feste Materie dieser Dinge, nicht mehr da. Aber sie waren noch da, diese Bausteine waren noch fest,

aber ich war nicht mehr fest, ich war so gelöst wie Pulver in einem Wasserglas.

 

Ich sehe durch mich hindurch

Ein Wort noch zu dem Sog, der mich in die Höhe hob. Der Staubsauger hatte mich voll gepackt und ich glaube, daß ich meine Moleküle sehen konnte, das heißt, ich blickte durch sie hindurch, also durch mich selbst, und das würde heißen: ich war unsichtbar und sichtbar zugleich.

Wie lange dauerte denn das alles? Ich weiß es nicht, es kam mir lang vor und kurz zugleich, ich kann es nicht näher beschreiben.

Der Sog packte mich nun aber mit solcher Kraft, daß ich glaube, eine Art Schweif gesehen zu haben: meinen Schweif, fast wie den Schweif eines Kometen. Er folgte mir - also meinem Leib in der Länge - nach wie die Spitze eines Wassertropfens, der sich vom Wasserhahn löst und dessen Bauch die Kugel ist, so daß sich insgesamt gesehen die Form einer Birne ergibt.

 

Ich werde ins Freie gezogen

Und dann die wechselnden Temperaturen: mal war es wärmer, dann kühler, und sehr kalt wurde es, als ich das Haus verließ und ins Freie kam.

Im Freien war ich vermutlich nicht sehr lang, denn im Nu war ich in einer Temperatur, die mir angenehm war.

 

Das Geheimnis könnte einen Namen haben

Der Strahl war ein Licht und das Licht Energie, die mich irgendwie demontierte, ohne mich zu zerstören, sondern in der Wahrung von Inhalt und Form, um mich an einem anderen Orte wieder zusammenzusetzen, auf eine geheimnisvolle Weise. Ich weiß nicht, wieso, wenn ich aber darüber nachdenke, kommt mir ein Wort in den Sinn, mit dem man diesen Energielichtstrahl bezeichnen könnte: vielleicht könnte man ihn "Traktor­strahl" nennen?

 

Im Innern einer Kugel

Ich fand mich in einem Raum wieder, den ich nur schwer beschreiben kann, fast war er wie das Innere einer großen Kugel, aber ich bin mir nicht sicher.

Das Innere der Kugel war in einen sanft schimmernden und zugleich klaren und hellen Blauton gehaucht, den man mit Menschenworten fast nicht beschreiben kann.

Die Wände des Raumes wirkten wie fest und nicht fest, wie klar und nicht klar, dabei blau getönt und durchsichtig zugleich (ich weiß wohl, daß dies eigentlich nicht sein kann, doch habe ich so empfunden).

Ja, ich sah, daß der Raum rund war, und daß die Decke rund war, dabei gewölbt wie die Schale eines großen Eis, wenn man ein Küken wäre und es von innen sähe.

Es kann sein, daß in dem Bogen vor mir von links nach rechts merkwürdige Apparaturen waren, die aber eben­falls wie die Materie der Raumkugel nicht fest und nicht lose, also anders war als alles, was ich bisher kann­te.

 

Apparaturen?

Die Apparaturen oder Armaturen wirkten wie aus einem Guß, einem weichen Guß, irgendwie lebendig, und ich glaube, ich dachte: das alles übersteigt mein geistiges Fassungsvermögen.

Aber was ich sah, das sah ich und ich will es hier beschreiben:

Rechts von mir flossen die Armaturen in ein grö­ßeres Gebilde ein, das irgendwie wie ein Sockel aussah, eine Nische vielleicht.

Seitlich davon war etwas, das wie ein Kasten aussah, und vor dem Kasten war eine Scheibe angebracht, die mich irgendwie an Kristallglas denken ließ.

 

Ein Wesen?

Der Sockel bzw. die Nische beherbergte... fast wage ich es nicht, es niederzuschreiben, aber so war es, die Wahrheit:

in der Nische saß oder hockte oder kauerte ein Wesen, eine Gestalt, auch sie war in jenen hellen Blauton gehaucht, und doch schienen in ihr noch andere Farben zu wohnen, nur, daß ich sie nicht so erkennen konnte, (vielleicht kann ich mich jetzt auch nicht so gut erinnern).

Fest steht: auf oder in dem Sockel (vielleicht war es auch ein Sessel?) saß ein Wesen, und ich erschrak:

denn dieses Wesen hatte viele Gesichter, ich glaube, es hatte vier Gesichter.

Eines davon sah ich am deutlichsten: ich sah ein Gesicht wie das einer Maus, glaubte dann aber in dem Mausgesicht das Gesicht eines Adlers zu erkennen, und das erschütterte mich auf tiefe Weise.

Die drei anderen Gesichter - ich habe keine so deutliche Erinnerung daran, aber ich weiß, daß auch diese Gesichter mächtig und majestätisch waren,

und ich glaube, eines davon war das Antlitz eines Menschen.

 

Das Wesen... bewirkt Todesangst in mir

Mein Herz raste wie unter Starkstrom, und mir ist nicht klar, ob ich hätte eine Herzattacke bekommen können - oder war ich schon tot? Oder war das das Sterben? Geschieht das oder fühlt man sich so, wenn man stirbt? Wer weiß das denn? Wer kann es sagen?

 

Eine klare Stimme in meinem Kopf

Und ich schwöre, da war eine Stimme in meinem Kopf, irgendwie kam sie da hinein, ich hörte, aber nicht mit meinen Ohren... oder doch? Aber es war anders, die Stimme erklang in mir wie in einem... ja, wie in einem "Kunstkopf". Und die Worte waren so klar in mir, daß ich sie fast "sehen" und "fühlen" konnte, und sie lauteten: "Zajit, Zajit! Du bist der eine und der andere ist der andere, und so wird es sein!"

Wo kam die Stimme her? Von dem Wesen mit den vier Gesichtern? Und was will sie sagen? Wie kann ich das verstehen?

Ich glaube, nein, die Stimme kam anderswo her, die Stimme hatte einen anderen Ursprung, irgendwie höher oder weiter oder tiefer, aber... wie soll ich das rekonstruieren? Wie kann ich das begreifen?

 

Das Wesen ist gekleidet

Das Wesen mit den vier Gesichtern: es trug eine Art Helm auf dem Kopf, ja, ich glaube, so war es, und überhaupt war es eingehüllt in etwas, das wie eine Uniform aussah, aber keine aus Stoff, sondern eine aus irgendwie festerem Material.

Auf der Brust des Wesens war so etwas wie eine Fläche, die merkwürdige Zeichen trug. Ich meine, es wären vier Zeichen gewesen, Symbole oder Linien, die ich aber nicht erinnern kann (könnte ich es, hätte ich eine Zeichnung davon angefertigt). Aber ich meine, daß jedes der vier Zeichen bzw. jede Linie irgendwie daumendick war, also nicht fein oder dünn, sondern in der Struktur nicht zu übersehen.

Auf dem Rücken trug das Wesen etwas, ich will sagen, auf dem Rücken war etwas, das vierteilig war und fast wie Flügel aussah.

Aber es waren nicht die Flügel eines Vogels, aus Federn zusammengesetzt, sondern es waren Flügel wie Schilde, die ineinander übergingen und doch getrennt voneinander waren. Die oberen zwei Flügel, also jene in Schulterhöhe, gingen nach unten spitz ineinander, und die unteren zwei Flügel, also in Beckenhöhe, gingen nach unten-oben ineinander, und überhaupt: alles ging irgendwie auseinander hervor.

 

Schlag auf Schlag: die Rückkehr

Meine Todesangst wuchs ins Unermeßliche, und - vielleicht, bevor ich sterben konnte? -, wurde ich blitzschnell zurückgeschickt.

Nur wenig später fand ich mich in meinem Bett wieder, und die Art und Weise, wie ich zurückkehrte, war anders als jene, in der ich vorher gegangen war.

Es ist schwer zu beschreiben, aber es schien mir, als ginge der Rückweg leichter vonstatten als der Hinweg. Es schien mir, als müßte ich - also meine Materie - lediglich zurück in eine Form gegossen werden, die in meinem Schlafzimmer noch zurückgeblieben und vorhanden war: ich wurde dort wieder hineingeführt, und es geschah so schnell wie ein Lidschlag.

 

Die Zeit danach

Dann war es vorbei und ich fiel in einen tiefen Schlaf, aus dem ich erst am Mittag des nächsten Tages er­wachen konnte.

Eigenartiger Weise hatte ich beim Erwachen und noch viele Stunden danach einen eigenartigen Geschmack im Mund, der klebrig und süß war, dabei trocken und matt, fast so wie gesüßtes altes Papier (jedenfalls denke ich mir das so). Ich mußte unentwegt trinken, am besten half Mineralwasser, aber der seltsame Geschmack blieb noch bis zum Ende des Tages.

Nach dem Erwachen, blieb ich vier Stunden stumm und verkroch mich in meine Schreitischecke, in dem Versuch, in Worten zu erfassen, was mir geschehen war. Dabei bemühte ich mich, nichts hinzuzutun, aber auch, nichts wegzulassen. Es war wie ein innerer Drang: ich konnte nichts anderes tun, als niederzuschrei­ben und festzuhalten.

 

Dirk und Wilfried

Meine Angst ist nun unermeßlich und ich habe große Mühe, dieses Erlebnis zu verarbeiten und zu verstehen.

Hinzufügen möchte ich noch, daß Wilfried und ich nicht mehr ein so gutes Verhältnis haben wie zuvor. Zwar achten wir uns und behandeln uns gegenseitig sehr höflich und mit Respekt, aber irgendwie ist eine Trennwand entstanden, die wohl mit den Erlebnissen zu tun haben, die wir - unabhängig voneinander - hatten, und die uns doch auf unheimliche Weise miteinander in Beziehung bringen.

Aus diesem Grunde habe ich mir erlaubt, unseren Berichten noch einen weiteren Bericht anzufügen,

ohne daß Wilfried davon weiß.

Ihm gab ich das nun folgende nicht zu lesen, ich bitte Sie aber, liebe Frau Freytag, es ebenso zur Kennt­nis zu nehmen wie die zwei Berichte zuvor.

 

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Autor: B. Freytag

www.berndfreytag.de/kontakt/02DirkErlebnis.htm